Von Pandabären und Schattenspielen
Nonstop nach Chengdu
09.09.2017
Wenn ich jetzt schreiben würde, der Flug mit China Air nach Chengdu war zum Abgewöhnen, wäre das nicht fair. Platz hatte ich in der leeren Premium Economy reichlich, die meisten Filme gab es nur in chinesischer Sprache - Bruce Willis mit seiner hohen nasalen Stimme kommt "etwas" anders rüber als sonst - und was das Essen angeht, kann es nur besser werden. China Air scheint kein Markenbotschafter Chinas zu sein.
Dank Rückenwind sind wir schneller angekommen, als erwartet. Um 14:30 Uhr ging's in Frankfurt ab, gegen 6:30 Uhr kommen wir in Chengdu an. Zur Info: Der Zeitunterschied beträgt sechs Stunden. Mir fehlt Schlaf, deshalb dürft Ihr selbst ausrechnen, wie lange der Flug gedauert hat.
Nonverbale Kommunikation
Ich schlendere in Richtung Pass- und Visakontrolle. Die Chinesen sind nicht gerade bekannt dafür, gerne Schlange zu stehen. Jungs, alles Drängeln nützt aber nichts, wenn man das Geschehen nicht im Blick hat.
Während sich vier Frauen und zwei Männer vor mir keifen, wer früher dran kommt, sehe ist, dass weiter links ein weiterer Beamter seinen Dienst angetreten hat. Er schaut in meine Richtung, ich hebe die Augenbrauen, er nickt. Wir sind uns handelseinig, habe mir gerade eine Viertelstunde anstehen gespart.
Als ich vorlaufe, wird es plötzlich ganz still in meinem Rücken und schlagartig startet hinter mir ein Geschrei und Gerenne. Merke: Blicke nie zurück!
Tach, ich bin ein Panda
Schnell ist die Gruppe zusammen, das chinesische Dutzend. Unsere Reiseleiterin Schau (muss jetzt bloß noch rauskriegen, wie man das schreibt), erwartet uns.
Mein Körper schreit "Schlafen!", aber das soll noch eine Weile dauern, bis ich auf diese Stimme höre, hören kann, hören darf. Das Neue, das Exotische, das Verträumte und das Ungewöhnliche halten mich wach. Noch. Eine knappe Stunde brauchen wir raus zur Panda-Aufzuchtstation.
Es ist diesig, Hunderte von Hochhäusern sind im Dunst zu erkennen. Ganz China ist ein einziges Dampfbad. Es ist heiß, feucht, schwül. Chengdu liegt auf 500 Metern Höhe, die klimatischen Rahmenbedingungen werden sich aber schnell ändern. Morgen übernachten wir in einer Höhe von 3.000 Metern.
Es gibt wohl noch rund 1.600 frei lebende Pandas, dazu kommen weitere 300, die in Zoos oder Aufzuchtstationen leben. Deren Auswilderung kommt nicht in Frage, die Bären sind zu sehr vom Menschen geprägt und außerdem "stinkfaul".
Ein Pandababy kommt noch 80 bis 200 Tagen auf die Welt. Warum es diese große Differenz gibt, weiß niemand. Bei der Geburt wiegen die Kleinen 100 bis 200 Gramm. So ein ausgewachsener Panda kommt dann auf 80 bis 100 Kilogramm. Irgendwie sind sie ja schon süüüß...
Apropos stinkfaul: Sie sind unglaublich wählerisch, welche Teile von den 40 Bambusarten sie wann verspeisen. Jeden Tag essen sie 15 bis 20 Kilogramm Bambus und hinterlassen einen Berg Abfall von mehreren Metern Höhe. Wenn sie ein Fünftel der jeweiligen Bambusstange essen, wäre das viel, ist eher weniger. In der Aufzuchtstation haben sie Vollpension mit Bedienung, im Falle einer Auswilderung müssten sie sich mit Selbstbedienung vorliebnehmen. Irgendwie sind sie ja schon süüüüß...
Apropos stinkfaul: Besonders Leckerbissen werden ihnen mithilfe langer Stangen "serviert", damit sie aufstehen müssen. Das Aufstehen trainieren ist wichtig, sonst wird es nichts mit der Fortpflanzung. Dort müssen die männlichen Pandas nicht nur ihren Mann stehen, sondern auch tatsächlich stehen.
Ganz anders als der große Panda schaut der braune Panda aus, deutlich kleiner, komplett braunes Fell, langer gefleckter Schwanz. Mich erinnert er an einen Waschbären.
Tai Chi im Volkspark
Chengdu ist eine moderne, eher gesichtslose, aber auch eine sehr grüne Stadt. So landen wir vor dem Mittagessen noch im Volkspark: Hier könnte ich den Leuten den ganzen Tag zuschauen. Überall Tänze, Tai Chi-Übungen, rhythmische Gymnastik und mehr.
Schließlich landen wir beim improvisierten Hochzeitsmarkt. Durch die Politik der Ein-Kind-Ehe hat China zusehends ein Problem, vor allem, weil in China ein Junge wesentlich mehr gilt als ein Mädchen. Unglaublich, wie viele Mädchen abgetrieben werden. Folge: Es gibt dramatisch mehr Männer im heiratsfähigen Alter als Frauen.
Hunderte von Angeboten liegen aus. Im Mittelpunkt steht, ob man eine eigene Wohnung hat, ein Auto und einen gut bezahlen Job. Im "Angebot" sind vor allem junge Frauen - in den meisten Fällen suchen immer noch die Eltern den Bräutigam aus - die alle hohe bis extrem hohe Ansprüche haben.
Ich komme mit einem Vater ins Gespräch, der mir seine Tochter in allen Vorzügen schildert. Sie hat zwei Jahre in Deutschland studiert, ist Ingenieurin für Bauwesen, für chinesische Verhältnisse mit 1,65 recht groß, sehr hübsch - sagt zumindest der Vater, ich habe sie nicht zu Gesicht bekommen. "Wäre genau Deine Kragenweite", sagt er noch. O.k., ich denke mal darüber nach.
Essen in einer Nebenstraße
Wir landen in einem eher einfachen Lokal mit sehr guter Küche. Eine Platte nach der anderen landet auf dem Tisch, jeder nimmt sich, was er mag. Alles relativ, manches knackig scharf. Schließlich kommt der Sichuan-Pfeffer von hier.
Die Chinesen sagen übrigens, hier leben scharfe Frauen. Und da alles im Gleichgewicht stehen muss, Ying und Yang halt, leben diese mit Weichohren zusammen.
Jetzt fällt es immer schwerer, die Augen offenzuhalten. Zeit, dass wir im Hotel landen.
Chinesische Oper
Der Wecker läutet und reißt mich unsanft aus dem Schlaf.
Wo bin ich?
Was bin ich?
Und vor allem: Wer bin ich?
Es dauert einen Moment, bis mir dämmert, dass ich in China bin, es 19 Uhr ist und der Wecker klingelt, weil ich zu der Handvoll Verrückter gehöre, die heute Abend in ein klassisches Teehaus will, um sich eine traditionelle Show reinzuziehen, die von der chinesischen Oper inspiriert ist.
Bei der Aufführung trinkt man Jasmintee mit Untertasse, "damit man sich die Finger nicht verbrennt", Tasse, "damit der Tee nicht ausläuft", und Obertasse, "damit die Teeblätter nicht im Mund landen".
Es gibt etwas zu essen dazu und viele Serviceleistungen: Massagen etwa. Ich entscheide mich für den Klassiker und lasse mir die Ohren putzen. Das war auch dringend erforderlich, eines meiner Momos, eine Art Maultaschen, ist unglaublich scharf. So kann der entstehende Dampft durch die Ohren entweichen.
Tolle Show, die das Aufstehen inmitten der Tiefschlafphase absolut gerechtfertigt hat. Ich kann gar nicht sagen, was sensationeller war:
Die artistischen Darbietungen?
Das Schattenspiel?
Das Puppentheater?
Oder das Maskenwechselspiel?
Doch, am sensationellsten war das Maskenwechselspiel, eine jahrhundertealte Tradition. Etwas Vergleichbares habe ich vorher noch nie gesehen: Auf der Bühne, von jetzt auf sofort, können die Darsteller ihre Masken, aber auch ihre Kleidung wechseln, was sie auch reichlich machen. Die Illusion in diesem tollen Ambiente ist perfekt.
Sobald der Text gespeichert und die Bilder hochgeladen sind, geht es nun aber wirklich ins Bett!